Der KI Kompass für Studierende

Ein KI-Buch- und Blog-Projekt von Dr. Stephan Pflaum

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Woher kommen die Daten – und was passiert mit meinen?

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Social Media vs. KI im Praxisvergleich

Ich frage mich selbst oft: „Warum teilen wir in Social Media scheinbar sorglos Daten, sind bei KI aber plötzlich extrem vorsichtig?“

Die Kurzantwort: In sozialen Netzwerken greift häufig ein Privacy-Calculus – wir tauschen Daten gegen wahrgenommene Vorteile (Sichtbarkeit, Kontakte, Komfort).

Bei KI ist die Kosten-Nutzen-Unsicherheit höher und die Technik wirkt stellenweise wie eine Blackbox. Deshalb braucht es ein bewusstes, aber kein ängstliches Vorgehen – ein Dreieck aus Nutzen, Sicherheit, Risiko, das ich im Job an der Uni und als Autor pragmatisch abwäge. (Acquisti, Brandimarte & Loewenstein 2015; Kokolakis 2017). (s.a. Carnegie Mellon University)


1) Woraus „ziehen“ große KI-Modelle ihr „Wissen“?

LLMs werden aus öffentlich verfügbaren Quellen, lizenzierten Daten und Material, das von Menschen kuratiert wurde, trainiert (So die offizielle Version, aber: „Honi soit qui mal y pense!“). Anbieter benennen Klassen, nicht aber einzelne Datensätze – das ist rechtlich und technisch auch kaum möglich. (OpenAI: public data, licensed data, human-generated). (OpenAI)

Wichtig: Trainierte Modelle speichern Wahrscheinlichkeitsstrukturen, kein „Buch-Gedächtnis“. Trotzdem können sie falsche oder verzerrte Inhalte produzieren – die EU-Datenschutzbehörden mahnen deshalb Daten- und Fakten-Genauigkeit an. (Reuters)


2) Warum wirkt KI wie eine „Blackbox“?

Tiefe Netze haben Milliarden Parameter; die Wechselwirkungen sind nur begrenzt erklärbar. In der Interpretierbarkeits-Forschung wird daher seit Jahren diskutiert: Erklären wir besser Blackbox-Outputs nachträglich, oder nutzen wir – wo möglich – von vornherein interpretierbare Modelle? (Rudin 2019; Lipton 2016/2018). Für generative KI im Alltag heißt das: Transparenz über Einsatz und Grenzen ist essenziell. (Nature)


3) Social Media vs. KI: Warum sind wir dort lockerer?

Die Sozialwissenschaft kennt das „Privacy Paradox“: Menschen sorgen sich um Datenschutz, geben aber auf Plattformen dennoch viel (zu viel) preis – weil sofortige Vorteile (Likes, Reichweite, Bequemlichkeit) die Risiken gefühlt überwiegen. Genau dieses Nutzen-Risiko-Abwägen wird als Privacy-Calculus beschrieben. (Acquisti et al. 2015; Dinev & Hart 2006; aktuelle Reviews). (Carnegie Mellon University)

Bei KI-Chats sind die Vorteile zwar ähnlich (Tempo, Struktur, Ideen), aber:

  • die Zielgruppe ist unklar (nur ich? der Anbieter? KI-Trainer:innen und Algorithmen?),
  • der Nutzungszweck ist breiter (Text, Code, Datenanalysen),
  • die Verarbeitung erfolgt fast immer in der Cloud.
    Dadurch verschiebt sich der Calculus: mehr Unsicherheit, also mehr Vorsicht. (Nissenbaum 2010 – Contextual Integrity). (Stanford University Press)

4) „Privat-/Firmenlizenzen“: Was ändert sich wirklich?

Gute Nachricht: Bei Enterprise/Business-Tarifen und bei der API werden Inhalte standardmäßig nicht zum Training genutzt; es gibt Verschlüsselung in Transit und at Rest, Admin-Kontrollen und teils Enterprise Key Management (EKM) mit eigenen Schlüsseln. Aber: Die Inferenz läuft weiterhin serverseitig – also Cloud ↔︎ zurück. 100 % „lokal“ ist das nur mit On-device-Modellen (selten in der Praxis). (OpenAI)

Branchenlösung: Datenresidenz (z. B. Microsoft EU Data Boundary) begrenzt wo Daten verarbeitet werden – nicht, ob sie die Cloud berühren. Microsoft (und Apple)setzt mit Private Cloud Compute-Anwendungen zusätzliche Härtungen für ausgewählte KI-Funktionen. (The Official Microsoft Blog)

Praxis-Merksatz: Selbst mit guten Lizenzen gilt der Grundsatz „Cloud-Verarbeitung ja, aber unter kontrollierten Bedingungen“ – genau wie bei professionell genutzten Social-Media-Tools.


5) Das Dreieck: Nutzen – Sicherheit – Risiko

Wenn ich entscheide, ob und wie ich KI nutze, prüfe ich drei Ecken:

Nutzen (Value)
Tempo, Struktur, Ideen, Übersichten, Erstentwürfe, Mustererkennung.

Sicherheit (Safeguards)
Vertrag/Tarif (Enterprise/APIs), Verschlüsselung, Datenresidenz, EKM, Rollen & Rechte, Audit-Logs, Opt-out fürs Training. (OpenAI)

Gefahr/Risiko (Hazard)
Cloud-Exfiltration, Fehlinhalte/Halluzinationen, Bias, unbeabsichtigte Offenlegung, rechtliche Anforderungen (EU AI Act–Transparenz, Hochrisiko-Kontexte). (Digitale Strategie der EU)

Entscheidungsregel: Ich teile mit KI nur, was ich auch in einem gut moderierten, berufsbezogenen Social-Media-Kanal posten könnte – plus einer Abwägung der Glaubhaftigkeit der Sicherheitsgarantien meines KI-Providers / LLMs.


6) So formuliere ich meinen Kurs: „Bewusst und professionell wie bei LinkedIn – mit Business Etikette und Wahrung von Persönlichkeitsrechten.“

Ich behandle KI ähnlich wie LinkedIn: Ich überlege vorab, welche Inhalte und Detailtiefe sinnvoll sind. Vertrauliches (personenbezogene Daten Dritter, unveröffentlichte Ergebnisse, Betriebsgeheimnisse) bleibt außerhalb – es sei denn, ich habe eine entsprechende Unternehmenslösung, ggf. Nutzerzustimmung und klare Policies. Ich dokumentiere Datum/Tool/Zweck für Reproduzierbarkeit. (APA-Empfehlungen zur Disclosure). (Carnegie Mellon University)


7) Zehn Regeln für einen bewussten, sicheren und nützlichen KI-Einsatz

  1. Kontext prüfen: Welche Daten brauchen Nutzen – und welche sind überflüssig? (Privacy-Calculus denken). (IDEAS/RePEc)
  2. Sensibles draußen lassen: Keine identifizierenden Personen-/Kundendaten, keine unveröffentlichten Studien, keine Passwörter/Keys.
  3. Tarif & Schalter kennen: Enterprise/API nutzen, Training-Opt-out aktivieren, Vertragsstand dokumentieren. (OpenAI)
  4. Datenresidenz & EKM nutzen, wo verfügbar (EU-Boundary, eigene Schlüssel). (Microsoft)
  5. Anonymisieren & Minimieren: Samples, Platzhalter, synthetische Daten statt Echtdaten.
  6. Ergebnisse verifizieren: Fakten gegen Primärquellen prüfen; Halluzinationen erwarten. (EDPB-Kritik an Genauigkeit). (Reuters)
  7. Einsatz offenlegen: In Arbeiten/Projekten Tool, Datum, Version, Zweck nennen; Prompts/Antworten ggf. im Anhang. (APA-Style-Guides). (Carnegie Mellon University)
  8. Risikoklassen beachten: Hochrisiko-Kontexte (Gesundheit, Recht, Sicherheit) = strengere Maßstäbe / ggf. keine Cloud-KI. (EU AI Act – risikobasiert). (Digitale Strategie der EU)
  9. Team-Policies abstimmen: Wer darf was teilen? Welche Datenquellen sind tabu? Wer prüft?
  10. Lernen statt Dämonisieren: KI als Denkpartner nutzen – Nutzen sichern, Risiken steuern, Sicherheitsnetz ausbauen.

Forschungstagebuch (Auszug)

  • Oktober 2025: In Beratungen taucht die Frage „Warum bin ich bei KI skeptischer als bei Social Media?“ zunehmend auf.
  • Beobachtung: Studierende kennen die sofortigen Social-Media-Vorteile; bei KI sind Datenwege und Verantwortungen intransparent.
  • Nächster Schritt: Lehrbaustein „Privacy-Calculus für KI“ mit Fallvignetten (Social vs. KI) und Entscheidungsraster Nutzen–Sicherheit–Gefahr.

Leitfragen

  • Welche Nutzenspitzen rechtfertigen KI-Einsatz – und welche Daten sind dafür wirklich nötig?
  • Welche Sicherheitshebel (Tarif, Boundary, EKM) habe ich bereits – welche fehlen?
  • Wo kippt die Waage in Richtung Gefahr (rechtlich, reputativ, ethisch) – und was ist dann die Alternative?

Literatur & Links (APA)

  • Acquisti, A., Brandimarte, L., & Loewenstein, G. (2015). Privacy and human behavior in the age of information. Science. (PDF). (Carnegie Mellon University)
  • Dinev, T., & Hart, P. (2006). An extended privacy calculus model for e-commerce transactions. Information Systems Research. (IDEAS/RePEc)
  • Kokolakis, S. (2017). Privacy attitudes and privacy behaviour: A review… Computers & Security. (ScienceDirect)
  • Nissenbaum, H. (2010). Privacy in Context. Stanford University Press. (Stanford University Press)
  • Rudin, C. (2019). Stop explaining black box ML models… Nature Machine Intelligence (Author’s PDF). (Nature)
  • Lipton, Z. C. (2016/2018). The Mythos of Model Interpretability. arXiv / ACM Queue. (arXiv)
  • EU AI Act – Überblick & Risikoansatz. Europäische Kommission / unabhängige Übersicht. (Digitale Strategie der EU)
  • EDPB zu ChatGPT-Genauigkeit (Bericht/Zwischenstand). Reuters. (Reuters)
  • OpenAI Enterprise/Business Privacy (kein Training, Verschlüsselung, EKM-Optionen). (OpenAI)
  • Microsoft EU Data Boundary (Datenresidenz-Dokumentation). (Microsoft)
  • Apple Private Cloud Compute (PCC) – Security-Konzept. (Apple Security Research)

Fazit

Ich behandle KI wie Social Media – nur einen Tick bewusster: Ich wäge Nutzen gegen Risiko und Sicherheit ab und aktiviere Sicherheitshebel. So nutze ich die Vorteile, ohne meine – oder fremde – Daten unnötig zu riskieren.

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