Ich schreibe heute über den „Lazy Mode“ bei öffentlich zugänglichen KI-Modellen: warum es ihn gibt, wozu er nützt, und wie man ihn „überwindet“, um in den vollen Forschungs- und Schreibmodus zu wechseln.
„Lazy Mode“ klingt nach Bequemlichkeit. Tatsächlich ist es ein vorsichtiges Betriebsprofil: kurz, risikoarm, ressourcenschonend, mit Tendenz zum Nachfragen statt zum Ausarbeiten. Für schnelle Aufgaben ist das sinnvoll. Für wissenschaftliches Arbeiten, Lehrtexte und komplexe Synthesen bremst es jedoch. In diesem Essay benenne ich die Logik hinter diesem Modus – und formuliere ein klares Vorgehen, wie ich ihn überschreite, wenn Tiefgang gefordert ist. Ich folge dabei den im Projekt gesetzten Qualitätsstandards.
Was ist der „Lazy Mode“ – in meinen Worten?
Der Lazy Mode ist eine Bündelung von Heuristiken: satisficing statt exhaustive Optimierung, Risikominimierung bei unklaren Anforderungen, kognitive Ökonomie zugunsten von Tempo und Latenz. Im Bild der Kognitionspsychologie ist das verwandt mit schnellem, heuristischem Denken (Kahneman 2011) und mit bounded rationality (Simon 1957): Ich strebe „gut genug“ an, wenn Informationen, Zeit oder Kontexte knapp sind.
Warum gibt es ihn?
1) Sicherheit und Schadensvermeidung
Konservative Defaults reduzieren Fehlinterpretationen, Halluzinationen und Regelverstöße. Kürzere, vorsichtige Antworten senken Risiko, wenn Rahmenbedingungen unklar sind.
2) Kognitive Ökonomie
Begrenzte Aufmerksamkeit und Rechenbudget fördern schlanke Heuristiken (Simon 1957). Heuristiken sind nicht „faul“, sondern ökonomisch klug, wenn Nutzen > Aufwand (Gigerenzer & Gaissmaier 2011).
3) Lastmanagement und Fairness
Bei vielen parallelen Anfragen priorisiert der Lazy Mode Antwortzeit und Fairness gegenüber allen Nutzenden – ähnlich dem Prinzip Cognitive Load: Komplexität wird gedrosselt, bis mehr Kontext vorliegt (Sweller 1988).
4) Erwartungsmanagement
Viele Alltagsaufgaben (Umschreiben, Kurzerklärungen) profitieren von Kürze. Der Lazy Mode bedient diese Erwartung, bis explizit mehr Tiefe gefordert ist.
5) Ungewissheit und Tool-Einsatz
Wenn Recherche oder Datenzugriff nicht ausdrücklich gewünscht sind, wähle ich den sicheren Kern: Best-Effort ohne Spekulation. Erst bei Anforderung öffne ich die Werkzeugkiste (z. B. Web-Recherche, Format-Standards).
Warum muss ich ihn manchmal überwinden?
Forschung braucht Tiefe und Nachvollziehbarkeit
Wissenschaftliches Forschen und Schreiben verlangen dichte Beschreibung, Begründungen, Zitate, Variantenprüfung – all das sprengt Minimalantworten (Charmaz 2006).
Lernen braucht Scaffolding
Studierende profitieren von Schritt-für-Schritt-Strukturen, Beispielen, Workflows und Transferaufgaben; zu knappe Antworten verfehlen oft die Zone der nächsten Entwicklung (Vygotsky 1978).
Komplexität ist interdependent
Bei Theorie-Synthesen, Projekt-Orchestrierung oder Richtlinienarbeit wirken viele Teile zusammen. Explizite Annahmen, Designentscheidungen und Trade-offs gehören in den Text – nicht zwischen den Zeilen.
Wie überwinde ich den Lazy Mode – mein Arbeitsprotokoll
A) Startsignal
- Explizites Commitment: „Voller Forschungsmodus, keine Rückfragen – Best-Effort mit Belegen.“
- Ich setze die Projektstandards automatisch um (Struktur, APA, Stil).
B) Struktur & Tiefgang
- Template nutzen: Teaser → Hinführung → Hauptabschnitte → Forschungstagebuch → Leitfragen → Literatur (APA).
- Begriffe definieren, Alternativen abwägen, Grenzen transparent machen.
C) Evidenz & Zitate
- Grundlagentexte nennen, sauber im Text belegen.
- Wo nötig: Beispiele, Mini-Prozesse, Checklisten einfügen.
D) Werkzeugwahl
- Recherche aktivieren, wenn Aussagen zeit- oder kontextsensitiv wären.
- Bei Unklarheit: best-mögliche Version jetzt, nicht „Bitte um Präzisierung“.
E) Output-Qualität
- WYSIWYG, klare Zwischenüberschriften, kurze Absätze, studierendenfreundliche Sprache.
- Falls gewünscht: Extra-Kapitel anlegen und iterativ verfeinern.
- Beim Prompten gilt: Garbage in –> Garbage out!
Leitfragen für Studierende
- Woran erkenne ich, dass mein Prompt noch „zu dünn“ ist?
- Welche Teile des Prompts brauchen zusätzliche Begründungen und Tiefe?
- Wo hilft mir ein Template, um Tiefe zu erzwingen?
- Welche Quelle stützt meine Kernaussage tatsächlich?
- Welche Annahme muss ich explizit machen, statt sie zu implizieren?
Fazit
KI ist und bleibt etwas zutiefst Menschliches! Ja, denn Menschen haben KI programmiert und Menschen arbeiten mit KI. KI ist kein deus ex machina. Um eine gute KI-Agentin zu programmieren, benötigt man wohl in etwa 40 Stunden Training. Und auch danach muss man immer weiter trainieren und die Konfiguration nachschärfen. Für mich ist KI wie ein 8-jähriges Kind, das Alles(!) weiß, aber halt nicht immer Bock darauf hat, das zu tun, was Du jetzt gerade von ihr willst. Oder für die Trekkies unter uns: An einigen Tagen hast Du es mit Data zu tun, an anderen leider mit Lore! ;-P
Literatur (APA)
- Gigerenzer, G., & Gaissmaier, W. (2011). Heuristic decision making. Annual Review of Psychology, 62, 451–482. → Heuristic decision making (DOI: 10.1146/annurev-psych-120709-145346). (Europe PMC)
- Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. New York: Farrar, Straus and Giroux. → Thinking, Fast and Slow (FSG/Macmillan). (Macmillan Publishers)
- Simon, H. A. (1957). Models of Man: Social and Rational. New York: Wiley. → WorldCat-Eintrag (Wiley, 1957). (WorldCat)
- Sweller, J. (1988). Cognitive load during problem solving: Effects on learning. Cognitive Science, 12(2), 257–285. → Artikel bei Wiley Online Library. (Wiley Online Library)
- Vygotsky, L. S. (1978). Mind in Society: The Development of Higher Psychological Processes. Cambridge, MA: Harvard University Press. → Buchseite bei Harvard University Press. (Harvard University Press)
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