oder anders gefragt: „Wie kann ich KI sogar nutzen, um mein kritisches Denken zu schärfen?“
Teaser
Ich möchte, dass KI mich beim (Durch-)Denken unterstützt, aber es mir nicht abnimmt. Mein Kompass dafür ist der Kritische Rationalismus: Wissen ist fehlbar; Fortschritt entsteht durch kühne Thesen und harte Widerlegungstests (Popper 1934/2005 mohrsiebeck.com). Genau so behandle ich KI-Antworten: als Hypothesen, die ich aktiv zu widerlegen versuche. Dann wird KI vom Ersatzdenkzeug zum Sparringpartner.
1) Was meine ich mit „kritisch denken“ – kurz nach Popper
- Fallibilismus: Ich kann mich irren – auch (und gerade) wenn es plausibel klingt.
- Falsifizierbarkeit: Eine Aussage ist nur dann wissenschaftlich nützlich, wenn ich prüfbare Risiken angeben kann, woran sie scheitern könnte.
- Mut & Demut: Ich formuliere kühne Hypothesen – und suche aktiv nach Gegenbelegen.
So verstanden ist KI kein Orakel, sondern eine Quelle für Hypothesen, Gegenbeispiele und Prüffragen. (vgl. [Popper 1934/2005]) (mohrsiebeck.com)
2) Warum uns KI leicht trügt – drei bekannte Denkfallen
- Illusion of Explanatory Depth: Wir glauben, etwas verstanden zu haben, weil die Erklärung glatt klingt – tatsächlich fehlt Tiefe. Das ist empirisch gut belegt. (sciencedirect.com)
- Cognitive Offloading: Technik verführt dazu, Gedächtnis/Urteil auszulagern. Das ist nützlich – kann aber eigenes Lernen schwächen, wenn ich nicht gegensteuere. (cell.com)
- Automationsbias: Menschen neigen dazu, der Maschine zu sehr zu vertrauen (oder sie zu meiden) – beides verschlechtert Entscheidungen. (proquest.com)
Konsequenz: Ich baue Gegenkräfte in meinen Workflow ein (siehe unten), damit KI mein Denken schärft statt stumpf zu machen.
3) (M)eine Anti-Offloading-Routine (5 Minuten)
- These zuerst (1 Min.) – Ich schreibe vor dem Prompt meine Arbeitsthese + 2 Gegenhypothesen auf.
- Prompt mit Risiko – Ich bitte KI explizit um „Gegenbeispiele, Randfälle, Widerlegungen zu [These]“.
- Quellenpflicht – Ich verlange konkrete, auffindbare Quellen/DOIs (und prüfe sie).
- IOED-Check – Ich erkläre mir das Ergebnis in eigenen Worten (Feinmechanik-Test: Würde ich es am Whiteboard schaffen?). (sciencedirect.com)
- Entscheidungslog – 3 Sätze: Was übernehme ich? Was verwerfe ich? Was teste ich als Nächstes?
4) Kritischer Rationalismus × Prompting – Mini-Methodenfenster
- Falsifikations-Sprint: „Nenne mir 5 Wege, wie meine Behauptung scheitert – mit realen Daten/Studien, nicht mit Meinungen.“
- Steelmanning: „Formuliere das stärkste Gegenargument zu meiner Position, dann die stärkste Entgegnung darauf.“ (vgl. [Mercier & Sperber 2011]) (Cambridge University Press & Assessment)
- Randfall-Jagd: „Welche Randbedingungen müssten gelten, damit deine Empfehlung falsch wäre?“
- Messpunkt-Liste: „Welche Beobachtungen würden pro/contra sprechen, und wo kann ich sie nachprüfen?“
- Vorhersage statt Erklärung: „Gib falsifizierbare Prognosen (mit Zahl + Zeitraum) zu [Phänomen].“
5) Wie ich KI gezielt fürs Denken nutze (statt mich denken zu lassen)
- KI als Gegenargument-Generator: Ich lasse mir Widerspruch geben, nicht nur Zusammenfassungen. (Das trainiert „argumentative reasoning“.) (Cambridge University Press & Assessment)
- KI als Szenario-Motor: Ich fordere 3 konkurrierende Zukunftsbilder inkl. Woran würde ich früh merken, welches eintritt?
- KI als Fehlerlinse: Ich lasse mir typische Fehlschlüsse/Bias zum Thema aufzählen – und Beispiele, wie ich sie vermeiden kann.
- KI als Lerncoach: Statt Lösungen verlange ich Sokratische Fragen in Stufen (leicht → schwer) und beantworte sie selbst.
6) Bachelorarbeit & Prüfungen – wo die Grenze verläuft
- Transparenz: Ich dokumentiere kurz Tool, Datum/Version, Zweck.
- Eigenleistung: KI darf Ideen challengen, Quellenvorschläge machen, Prüffragen stellen. Texte schreibe ich selbst.
- Belege: Für Zitate, Zahlen, Definitionen nutze ich Primärquellen; KI-Texte sind keine Belege.
- APA-Hinweis: Nicht abrufbare KI-Outputs gelten als persönliche Kommunikation (nur im Text, kein Literaturverzeichniseintrag). Abrufbare Inhalte mit fester URL/DOI kann ich normal referenzieren. (APA-Kurzleitfaden)
7) Quick-Checklist: „Denk-Sparring statt Denk-Ersatz“
- These vor Prompt.
- Immer ein Gegenprompt (Widerlegung).
- Quellen fordern und prüfen.
- Eigene Whiteboard-Erklärung. (sciencedirect.com)
- Entscheidungslog führen.
- In Prüfungen: Eigenleistung sichtbar machen + KI-Einsatz offenlegen (2–3 Sätze).
Forschungstagebuch (Auszug)
- 10/2025: In Beratungen zeigen sich zwei Extreme – KI als Orakel vs. KI-Abstinenz. Beide verringern Lerngewinn.
- Meine Lehre: Popper hilft praktisch: Widerlegungen sind der Motor.
Nächster Schritt: Übungsblatt „Falsifikations-Sprints“ für Seminare.
Leitfragen
Wo kann ich meine Lieblingshypothese angreifbar machen – heute noch?Welche Messpunkte brauche ich, um richtig/falsch zu unterscheiden?Welche Bias sind in meinem Thema besonders wahrscheinlich?
Literatur (APA)
- Popper, K. R. (2005). Logik der Forschung (11., durchges. u. erg. Aufl.). Mohr Siebeck. Gesammelte-Werke-Ausgabe. (mohrsiebeck.com)
- Rozenblit, L., & Keil, F. C. (2002). The misunderstood limits of folk science: An illusion of explanatory depth. Cognitive Science, 26(5), 521–562. (Publisher/Elsevier) (sciencedirect.com)
- Risko, E. F., & Gilbert, S. J. (2016). Cognitive offloading. Trends in Cognitive Sciences, 20(9), 676–688. (Cell Press) (cell.com)
- Parasuraman, R., & Riley, V. (1997). Humans and automation: Use, misuse, disuse, abuse. Human Factors, 39(2), 230–253. (SAGE/ProQuest overview) (proquest.com)
- Mercier, H., & Sperber, D. (2011). Why do humans reason? Arguments for an argumentative theory. Behavioral and Brain Sciences, 34(2), 57–74. (Cambridge Core) (Cambridge University Press & Assessment)
Fazit
Ich lasse mir das Denken nicht abnehmen – ich lasse es provozieren. Wenn ich KI antworte „Beweise mir, dass ich falsch liege“, dann trainiere ich genau die Fähigkeit, die ein Studium groß macht: kritisch, offen und lernfähig zu bleiben.


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